Ist es Dir schon einmal passiert, dass Du das Heft des Handelns aus der Hand gegeben hast?
Vor einiger Zeit flog ich als Erster Offizier gemeinsam mit meinem Kapitän – zunächst ohne Passagiere – zu einem niederländischen Provinzflughafen, um dort Gäste für den Weiterflug nach Brest aufzunehmen. Zuhause war das Wetter gut, doch je mehr wir uns dem Zielflughafen näherten, desto trüber wurde der Himmel. Die Wolkenuntergrenze lag niedrig und wir hatten nur marginale Flugsicht – und damit nur die minimalen Voraussetzungen, um zu landen…
Zögern im Cockpit
Mit dem Wissen gingen mein Kapitän in der Rolle als Pilot Flying (PF) und ich in den Anflug. Als Pilot Monitoring (PM) war ich für seine Unterstützung und Überwachung zuständig. Dann, bereits in der sogenannten MDA fliegend, der Minimum Decent Altitude (oder Mindestsinkflughöhe für die Landebahn), näherten wir uns dem Missed Approach Point (Fehlanflugpunkt) an dem man entweder nach Sicht landet oder den Anflug abbricht … und flogen – ohne die nötige Sicht auf die Landebahn – über diesen Punkt einige Sekunden hinaus, während wir weiterhin versuchten, die Landebahn im Nebel zu erkennen.
An dieser Stelle hätte mein Einsatz kommen müssen: Mit dem Aufruf „Go Around!“ hätte ich meinen Kapitän zum Durchstarten auffordern müssen oder selber das Steuer nach Ausruf von „I have Control!“ übernehmen müssen, wenn er nicht durchgestartet wäre. Doch stattdessen saß ich stumm neben ihm.
Erst als im dichten Nebel die Spitze eines Strommastes an mir vorbei sauste, rief ich: „Lass uns hier abhauen!“ – leider nicht sehr professionell. Das hat mein Kapitän aber verstanden, wir brachen den Anflug ab und flogen unverrichteter Dinge heim (die Gäste haben wir dann später in Amsterdam Schiphol aufgenommen, ein Flughafen mit leistungsfähigeren Landehilfen).
Spät in der Nacht in Brest angekommen, fühlten wir uns völlig ausgelaugt und kaputt … und haben bis heute nie wieder über diesen Vorfall gesprochen. Ich weiß nur für mich, dass – neben dem gemeinsamen Fehler im Anflug – meine Inaktivität hätte schlimme Folgen haben können.
Übernehme selbst das Gesetz des Handelns
Was ich aus dieser Situation gelernt habe? Wir haben den großen Fehler gemacht, nicht all unsere Kenntnisse und Ressourcen an Bord zu nutzen. Jeder hat sein eigenes Ding gemacht, für sich alleine gearbeitet. Ich bin nicht ins Handeln gekommen, nicht aktiv geworden, obwohl ich hätte ausrufen müssen: „Go Around!“. Da das nicht erfolgt ist, hätte mein nächster logischer Schritt dann sein müssen, das Steuer mit „I have Control“ in die Hand zu nehmen, und uns da raus zu fliegen.
Also: Wenn Du aktiv mit der aktuellen Situation verbunden bist und alle Möglichkeiten nutzt, wenn Du nichts ausblendest und fokussiert dabeibleibst, kommst Du auch aus schwierigen Situationen wieder heraus. „I have Control“ bedeutet in der Fliegerei mit der Situation verbunden zu sein, alle Ressourcen zu nutzen und ins Handeln zu kommen. Und genau das hätte mein Spruch sein sollen, das wäre meine Aufgabe gewesen. Wenn auch Du sagen kannst: „I have Control“, vermeidest Du das Heft des Handelns aus der Hand zu geben und hältst das Steuer selbst fest in der Hand.
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